34
8
2
05/2015
zurück zurück weiter weiter
Eine Kindheit während der 2. Weltkrieges und nach Kriegsende in Rothenburg - Erinnerungen von Werner Voigt
1933 wurde ich in Rothenburg geboren. Meine Kindheit verlebte ich auf der Schlackenhalde (2008 abgerissen). Hier bin ich mit vielen anderen Kindern aufgewachsen. Auf unserem Hof hatten wir viele Möglichkeiten zum Spielen. Langweilig wurde es uns nie. Haus auf der Schlackenhalde - 1962 1940 kam ich in Rothenburg in die Schule. Die erste Klasse wurde in dem Gebäude neben der Kirche unterrichtet. Mein erster Lehrer war Karl Scheffler. Im ersten Schuljahr wurde noch auf Schiefertafeln geschrieben. Das war oft ein großes Problem, denn die Hausaufgaben waren durch den Transport im Schulranzen oft nicht mehr lesbar. Im 2. Schuljahr musste mit Tinte und Federhalter geschrieben werden. Dazu wurden die richtigen Federn (Kugelspitzfedern) verlangt, die es aber nicht immer im Geschäft zu kaufen gab. 1942 wurde mein Vater zur Wehrmacht eingezogen und kam erst 1948 aus Gefangenschaft zurück. Bis 1942 hatte er in der Mansfeld AG gearbeitet. Das war natürlich für drei, meine Mutter, meine Schwester und mich ein tiefer Einschnitt in unserem Leben. Meine Mutter musste nun für uns Kinder sorgen. Sie wurde verpflichtet, auf der Domäne Rothenburg (heute Amtsberg) zu arbeiten. Vielen anderen Müttern ging es ähnlich. Auch wir Kinder mussten ab 10 Jahren in der Landwirtschaft arbeiten und während der Schulzeit Rüben verziehen, Zwiebeln von Unkraut befreien und Kartoffeln lesen. Man konnte aber auch nach der Schule Rüben verziehen, dafür gab es Geld (0,60 RM oder 0,90 RM pro Nachmittag). Zeitweise wurden der Hof und das Umfeld der der Domäne mein Spielplatz. Hier kam man auch mit den dort arbeitenden Kriegsgefangenen ins Gespräch, vor allem wenn sie mit dem Pferdegespann unterwegs waren. Diese Gespräche wurden für uns ziemlich heikel. Eines morgens musste ich mit drei anderen Kindern vor die Klasse treten. Unser Lehrer verwarnte uns: „Wenn das wieder vorkommt, werden andere Maßnahmen ergriffen. Eure Väter sind an der Front und ihr redet und spielt mit den Feinden Deutschlands“. Ein paar Jungen (ich war auch dabei) hatten die Aufgabe, während des Musikunterrichtes Altstoffe (Papier, Pappe) mit einem Handwagen von den Geschäften in Rothenburg abzuholen und zur alten Scheune (heute FFW-Gerätehaus) zur Papierpresse zu bringen. Dort wurden die Altstoffe zu großen Papierballen gepresst.In den Sommermonaten mussten alle Kinder Heilpflanzen wie z. B. Schafgarbe, Beifuß, Ackerschachtelhalm, Kamille oder Lindenblüten sammeln. Die Kraüter wurden in der Schule getrocknet und nach Halle geliefert. In meiner Schulzeit bis 1945 hatte ich drei Lehrer, Herrn Scheffler, Frau und Herrn Hedenius sowie zwei Vertretungen aus Könnern. Die drei Rothenburger Lehrer waren sehr streng und aufbrausend. Sie hatten sehr schnelle Hände, die an den Ohren landeten. Auch Rohrstock und Geigenstock waren oft im Einsatz. Je länger der Krieg dauerte, umso spürbarer wurde er für die Bevölkerung. Kulturelle Veranstaltungen wurden nicht mehr gestattet. Vereine durften keine öffentlichen Auftritte durchführen. Der Schützenverein konnte nur im Schützengarten seine Schießübungen durchführen. Nur Filmvorführungen fanden statt. Durch die Wochenschau wurde der Siegeszug der Wehrmacht bejubelt. Weitere Maßnahmen waren der Aufbau des Luftschutzes. Auch die Freiwillige Feuerwehr erhielt neue Aufgaben. Jeder Haushalt hatte die Pflicht, an seinem Radioempfänger ein Warnschild anzubringen mit der Aufschrift „Feind hört mit“. Durch die Vergrößerung des Barackenlagers in Rothenburg war es möglich, noch mehr Gefangene und zwangsverpflichtete Ausländer unterzubringen. Sie kamen aus elf Ländern. Teilweise waren bis zu 2000 Personen untergebracht. Auch Kinder kamen mit in das Lager. Das war für uns eine heikle Angelegenheit, denn wir durften nicht mit ihnen sprechen, wenn sie durch das Dorf liefen auf der Suche nach etwas Essbarem. Im Oktober 1944 wurde in Rothenburg ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mit 80 Häftlingen eingerichtet. Die Unterbringung erfolgte im sogenannten Zechenhaus – August-Bebel-Straße (heute abgerissen), nachdem die dortigen französischen Kriegsgefangenen in ein Barackenlager verlegt wurden. Die Häftlinge mussten außerhalb des Werksgeländes arbeiten u.a. am Bahnhof Waggons entladen und die Steine zum Saalberg tragen. Auch bei dem Ausbau des Luftschutzbunkers gegenüber dem Eingang zum Werk I waren sie eingesetzt. Am 13. April 1945 erfuhren der Nachbarjunge und ich, dass die Brücke an der Georgsburg gesprengt werden sollte. Wir sind mit unseren Fahrrädern in Richtung Georgsburg gefahren. Unterwegs trafen wir vor der Teufelsgrund auf KZ-Häftlinge, die Munitionskisten in die Saale warfen. Wir waren gerade an der Parnenaer Grund (Pastorenstiefel) angekommen, es war etwa 13.00 Uhr, als die Brücke in die Luft flog. Kleine Betonteile regneten auf uns herab. Zurück nach Hause ging es durch die Teufelsgrund über die Pappelstraße zur Wettiner Straße. Von der Pappelstraße aus konnten wir die von Westen kommenden amerikanischen Panzer auf den Zellewitzer Äckern sehen. Mit Fortgang des Krieges wurden seine Auswirkungen im täglichen Leben der Bevölkerung immer stärker spürbar. Die Lebensmittel wurden rationiert. Es gab Lebensmittelkarten und Punktekarten für Textilien. Das war eine große Belastung in der täglichen Versorgung. Besonders schwierig war es für uns Kinder, die benötigten Textilien wie Oberkleidung, Unterwäsche, Strümpfe und Schuhe zu erhalten. Denn es ging viel kaputt, und Kinder wachsen bekanntlich schnell aus den Sachen. Die Einschränkungen bezogen sich aber auch auf Schulhefte und Bücher. Ab 1944 wurde das ganze Ausmaß des Krieges in Deutschland täglich deutlich sichtbar. Es wurden viele Städte und Industriegebiete zerstört. Menschen kamen in den Trümmern um. Auch aus unserem Ort sind viele Männer und Väter gefallen; insgesamt blieben 50 Männer im Krieg.