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02/2009
Nachdem Rothenburg noch Jahrzehnte lang an den Wunden des 30-jährigen Krieges (1618-48) gekrankt hatte (fast völlige
Verwüstung des Dorfes begleitet von mehrmaligen Ausbrüchen der Pest), begann sich der Ort zum Ende des 17.
Jahrhunderts mit der Wiederherstellung des Bergwerks und der Eröffnung der Schifffahrt durch den Schleusenbau (1698)
zu erholen. Um 1700 gab es einflussreiche Persönlichkeiten und angesehene Einwohner in Rothenburg, die in ihrem
Testament Geld und Wohnhäuser zur Verfügung stellten, um den sozial Schwachen eine Wohnstätte zu geben. Zu
ihnen gehörte Pfarrer Hieronymus Grell, geb. am 23.10.1671 in Ribbeck bei Brandenburg, Pfarrer seit 1706, gest. am
23.09.1748 in Rothenburg.
Er hatte in den Jahren 1708 bis 1712 unmittelbar neben dem Kirchplatz auf einem Gartengrundstück der Domäne (heute
der Standort der Glas- und Papiercontainer) ein größeres Wohnhaus erbauen lassen und 1720 eine rechtliche
Vereinbarung geschlossen, worin festgelegt war, wie mit diesem Haus nach seinem Tod zu verfahren sei. Damit wurde
die Grundlage für die Grell‘sche Stiftung gelegt.
Sein
Vorbild
war
die
1695
von
seinem
berühmten
Zeitgenossen
August
Hermann
Francke
(1663
–
1727)
in
Halle/Saale
gegründete
Armenschule
mit
Waisenhaus,
die
ein
wichtiger
Teil
der
Franckeschen
Stiftungen
war.
Der
Pietismus
(geistige
Strömung
im
Protestantismus
im
17.
/
18.
Jahrhundert),
der
in
seiner
Prägung
durch
Francke
auf
christliche
Praxis
und
Armenfürsorge setzte, hatte auch in Rothenburg seine Wirkung entfaltet.
Den
Aufzeichnungen
von
Pfarrer
Grell
über
sein
Predigtamt
in
Rothenburg
und
Garsena
ab
1706
ist
zu
entnehmen,
dass
der
Bau
des
Gebäudes
mit
erheblichen
Schwierigkeiten
verbunden
war.
Pfarrer
Grell
war
sehr
sozial
eingestellt
und
hatte
bereits 1707 für die ärmste Schuljugend in Rothenburg den freien Schulbesuch durchgesetzt.
Nachstehende Auszüge aus zwei Fortsetzungen seines Werkes belegen die damaligen Bau- und Finanzierungsprobleme:
Dritte Fortsetzung zum Hauptband (1711-12)
„….nemlich,
dass
1707,
da
ich
aus
erheblichen
Ursachen
entschloß,
hiesigen
armen
Kindern
die
Schule
freizugeben…
Zugleichen,
da
1708,
denen
armen
Kindern
und
Eltern
zu
besten
auf
einer
wüsten
Stelle
ein
Häuschen
zu
bauen
im
Sinn
hatte…
Als
hierauf
1709
zwei
Stockwerke
in
solchem
Bau
aufgemauert
waren….
Und
als
ich
1710
mit
Verfertigung
des
Kellers
und
der
Küchen
und
des
untersten
Stockwerkes
Unterscheidung
zu
thun
hatte
und
im Bau weiter nicht fortkommen konnte….“ (S. 4)
„Wie denn auch in diesen nun auch zurückgelegten 1711 Jahre, in welchem der … angefangene Bau zwar nicht zur
gänzlichen Vollendung kommen, doch aber so weit glücklich fertiggesetzet ist, dass das in hiesigen Lande theure
Holz zum Bau nicht allein hat können angeschafft werden, so dass das Haus noch mit einem neuen Stockwerke
nemlich den dritten ist erhöht worden….
„Dann hat ein Mann alle noch benötigten Ziegelsteine zur Verfügung gestellt.“ (S. 5)
„Ein
anderer
lässt
das
Dach
decken,
wodurch
uns
dann
die
größte
Wohltat
unter
allen
seither
einmal
erhaltenen
wieder fahren ist.“ (S. 6)
„Ob ich nun damals wol an fünfzig Taler Holz bezahlt, blieb ich dennoch an dreißig Taler schuldig...“ (S. 8)
„…
wie
es
unter
anderen
an
dem
Waysen-Hause
zu
Glauche
an
Halle
so
zu
unseren
Zeiten
seinen
gesegneten
Anfang
genommen
klärlich
zu
sehen,
da
auch,
dass
ich
demselbigen
großen
Werke
auch
ein
kleiners
beyfügte
an
denen
hiesigen
kleinen
Schul-Anstalten,
welche
bereits
ins
fünfte
Jahr
nebst
dem
Bau
auf
keine
andere
weise
als
durch
Christlicher Hertzen freiwilligsten Beytrag fortgesetzt würde.“ (S.10)
„Weitere
Spenden
…
auch
denen
sämtlichen
Kindern
die
Schule
freigegeben,
für
denen
ärmsten
das
Feuerwerk
bezahlt
und
auch
abermals
das
ganze
Häufflein
gespeiset
und
gelabet
ist;
sondern
es
ist
noch
überdem
einem
jeden
Kinde,
deren
Zahl
noch
mehr
als
60
waren,
am
Heiligen
Weihnachten
eine
sonderbare
Güte
gereicht
worden,
nemlich
Halstücher
denen
Knaben
und
Mützen
denen
Mädchen
zusammen
von
Cattunen
….
Eine
Christliche
Freundin
spendete
weitere
8
Ellen
Stoff
…
dass
ihr
dieswegen
im
Vertheilen
desto
milder
und
noch
übrig
haben
konnte,
wodurch denn gewiß auch bey denen allerkleinsten Kindern eine herzliche Freude angerichtet wurde ….“ (S.16)
Vierte Fortsetzung zum Hauptband (1712-13)
„Hatte
Verbindung
zu
Freunden
der
Uni
Halle,
und
anderer
berühmter
Kerle:
…guter
Freund
von
Verbesserung
der
Schulen
und
der
Liebe
zu
der
Jugend
sein…“
(S.
7)
Entsprechend
der
eingegangenen
Spenden
und
Materialien
wurde
immer
wieder
versucht,
den
Bau
fortzusetzen:
zum
Beispiel:
„…Dritteinhalb
Tausend
Mauersteine,
zwei
Zentner
Eisen,
ein
halben Wispel Kalk, Holz, Fenster ….“ (S. 7)
„…so
dass
schließlich
zwei
Küchen
mit
gewölbet
werden
konnten,
welches
so
viel
nöthiger
als
nach
ersteren
Absehen
auch
Familien
darin
wohnen
und
zu
öberst
am
bequemesten
Schule
und
Stuben
für
die
Kinder
zubereitet
werden
konnten,
…dass
ich also wohl erfahren haben, was auch nur ein kleiner Bau für Kosten fordere.“ (S.10)
„25. Martini 1712 … und dass unsere Kinder-Häuschen auch zum ersten male von Kindern ist begangen und bewohnet
worden…ohngeachtet, noch ein manches ja ein großes daran fehlet..“ (S.16)
Pastor
Wilcke
(1827
bis
1849
in
Rothenburg
tätig)
beschreibt
in
seiner
Chronik
das
Gebäude,
dort
Waisenhaus
genannt,
wie
folgt:
„Das
Haus
ist
besonders
gebaut,
indem
es
vier
Erker
hat,
in
jedem
eine
Stube;
das
untere
Stockwerk
ist
in
den
Berg
gebaut,
und
geht
die
Hausthür
nach
dem
Fahrwege;
das
zweite
Stockwerk
mit
der
Hausthür
nach
dem
Kirchhofswege
ist parterre.“ (S. 155)
Mit
Fertigstellung
des
Gebäudes
und
den
ersten
Erfahrungen
zur
Bewirtschaftung
dieser
sozialen
Einrichtung
stellte
Pfarrer
Grell grundlegende Regeln für das Betreiben des Waisenhauses - auch über seinen Tod hinaus - auf.
Diese
Satzung
der
Stiftung
umfasst
23
Punkte;
der
Zweck
des
Hauses
findet
seinen
umfassenden
Niederschlag
in
einer
Bestätigungsurkunde,
ausgestellt
am
20.
Juni
1715
in
Magdeburg.
Pastor
Wilcke
dokumentiert
diese
Urkunde
in
der
Chronik Rothenburg vollständig.
Das Waisenhaus – Grell‘sche Stiftung
Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf den Aufzeichnungen von
Grell, H., An- und fortgehende sonderbare Güte Gottes…, Hauptband 1707 – 1709, Halle 1709 mit 4 Fortsetzungen (1709-10, 1710-11, 1711-12, 1712-13);
Dr. Wilcke, F., Chronik des Hüttenortes Rothenburg, Rothenburg 1832;
Friemel, A., Rothenburger Geschichte, Rothenburg